Hoffnung

Hoffnung

Die Hoffnung kann lesen

Wie lernt man hoffen? Im Augenblick wird die Frage nach der Hoffnung an vielen Orten gestellt. Sie irritiert mich, denn sie wird oft lamentös und vor jedem Handeln gestellt. Erst will man in der Aussicht versichert sein, dass alles gut geht, allenfalls dann wird man handeln und seinen Teil zum guten Ausgang beitragen. Vielleicht sollten wir die Frage nach dem guten Ausgang vergessen, denn sie ist nicht beantwortbar. Vielleicht war die Geschichte mit dem Regenbogen nach der Sintflut, die die Bibel erzählt, doch anders gemeint. Es waren wohl nicht der einfache Fortbestand der Welt gemeint, der Fortschritt und die Garantie des guten Ausgangs. Vielleicht heißt Hoffnung gar nicht der Glaube an den guten Ausgang der Welt und an die Vermeidung ihrer Zerstörung. Es garantiert uns keiner, dass das Leben auf der Erde in absehbarer Zeit nicht kollabiert, auch kein Regenbogen. Aber wir können tun, als hofften wir. Hoffen lernt man auch dadurch, dass man handelt, als sei Rettung möglich. Hoffnung garantiert keinen guten Ausgang der Dinge. Hoffen heißt darauf vertrauen, dass es sinnvoll ist, was wir tun. Hoffnung ist der Widerstand gegen Resignation, Mutlosigkeit und Zynismus.
Die Hoffnung kann lesen. Sie vermutet in den kleinen Vorzeichen das ganze Gelingen. Sie stellt nicht nur fest, was ist. Die ist eine wundervolle untreue Buchhalterin, die die Bilanzen fälscht und einen guten Ausgang des Lebens behauptet, wo dieser noch nicht abzusehen ist. Sie ist vielleicht die stärkste der Tugenden, weil in ihr die Liebe wohnt, die nichts aufgibt und der Glaube, der den Tag schon in der Morgenröte sieht.
Fulbert Steffensky (2018), gelesen bei „Der andere Advent“, Verlag Andere Zeiten, Hamburg

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